Die sprudelnde Ideen-Brauerei
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Dass es im Appenzeller Bier Folsäure hat, gehört zu den eher unspektakulären Fakten im folgenden Artikel, denn es geht darin auch um Tschipps und Pizzas, die beim Bierbrauen quasi nebenher entstehen.
Willkommen in der faszinierenden Welt der Brauerei Locher am Fusse des Alpsteins im Appenzellerland, wo es beim Bierbrauen längst nicht mehr nur um Bier geht, sondern auch um die Frage, wie die wertvollen Nebenprodukte des Brauprozesses sinnvoll weiterverarbeitet werden können.
Einfälle statt Abfälle
Um auf diese Frage möglichst überzeugende Antworten zu finden, wurde vor einigen Jahren eigens ein «Tüftler-Team» gegründet, das inzwischen durch Produktion und Vertrieb auf zehn Personen angewachsen ist. Gewachsen ist dadurch auch die Produktpalette, die sich für eine Brauerei ziemlich abenteuerlich liest und nebst Bier auch Müesli, Kringel, Tschipps, Pizzas und Birratone umfasst. Vertrieben werden diese Produkte unter der Food-Upcycling-Marke «brewbee» – zurzeit noch vorwiegend über das Internet.
Der Chef und seine Vision
Die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung ist Firmeninhaber Karl Locher, der das Familienunternehmen in fünfter Generation seit 1996 führt. Als Pionier der Nachhaltigkeit setzte er von Beginn weg aus Überzeugung auf lokale Rohstoffe und eine möglichst geschlossene Kreislaufwirtschaft ohne Abfälle. So gesehen, sind Tschipps und Pizzas als Brauerei-Produkte gar nicht so abwegig, sondern vielmehr das logische Resultat einer konsequenten Umsetzung der Vision, sämtliche Nebenprodukte der Brauerei zu hochwertigen Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln zu verarbeiten.
Am Anfang war das Fischfutter
Brauereien geben die beim Brauprozess entstehenden Malzrückstände, den nähr- und ballaststoffreichen Treber, schon lange als Tierfutter an die Bauern weiter. Die Brauerei Locher ging bereits in den 1990er-Jahren einen Schritt weiter und entwickelte aus der Bierhefe und Bierresten ein proteinreiches Fischfutter. Im kleinen Rahmen züchtete man auch eigene Fische – mal Aale, dann Zander, Lachs, Forellen und auch Felchen. 2019 wurde dann eine grosse Aquakultur-Kreislaufanlage in Betrieb genommen, in der heute alle acht Monate rund drei Tonnen Egli gezüchtet werden.
Immer wieder neue Ideen
Die ersten Erfolge stärkten den Mut, noch weiter über den Rand des Bierglases hinauszuschauen. Es sollte sich zeigen, dass in den Brau-Nebenprodukten Treber, Bierhefe, Vorbier und Nebenwürze – angereichert mit Kreativität – viel Upcycling-Potenzial steckt. So entstanden in den letzten Jahren die eingangs erwähnten Tschipps, Müesli, Kringel, Pizzas und Birratone. Was als Nächstes kommt, verrät Karl Locher im Interview. Eines ist jetzt schon klar: Die Brauerei Locher ist mit der eigenen Fischzucht, eigener Bäckerei und einer eigenen Biogasanlage zweifellos die vielseitigste und vor allem nachhaltigste Brauerei der Schweiz.
Aussergewöhnlich auch beim Bier
Ach ja, Bier gebraut wird selbstverständlich auch noch in der Brauerei Locher. Und das nicht zu knapp. Mit einer Jahresproduktion von über 200'000 Hektolitern ist die Brauerei Locher die grösste Schweizer Familienbrauerei. Auch beim Bierbrauen werden Qualität, Vielfalt und Nachhaltigkeit grossgeschrieben. Das zeigt sich exemplarisch bei der Gerste. Bis 1992 wurde diese vollumfänglich aus dem Ausland importiert. Heute arbeitet die Brauerei Locher mit über 50 Schweizer Bauern zusammen, die in höheren Lagen bis 1700 Meter über Meer Gerste anbauen. Diese Gerste ist wegen des raueren Klimas und des fehlenden Schädlingsdrucks von höchster Qualität, aber auch rund viermal teurer als ausländische Gerste. Für Karl Locher kein Grund, vom eingeschlagenen Weg abzurücken. «Gewinn war nie unser Fokus», bringt es Locher auf den Punkt. Er optimiert lieber die Qualität seiner Biere als irgendwelche Kennzahlen und begeistert mit gebrauter Vielfalt Bierliebhaber und immer mehr Bierliebhaberinnen in der ganzen Schweiz. Wen wundert es da noch, dass die Brauerei Locher einen eigenen Fanclub hat.
Autor: Urs Zwyssig
«Gutes Bier ist die beste Werbung»
Karl Locher führt die Brauerei Locher in fünfter Generation. Im Interview spricht er über das Engagement für die Stiftung Folsäure, seinen Werdegang, seine Ziele und seine Visitenkarte.
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Herr Locher, Sie engagieren sich seit Kurzem für die Stiftung Folsäure Schweiz. Weshalb?
Im Bier hat es durch die Gerste und die Hefe von Natur aus Folsäure drin. Da in der Schweiz die Grundversorgung nicht wie in anderen Ländern durch die Mehlanreicherung sichergestellt ist, helfen wir gerne mit, die Folsäure-Lücke zu schliessen.
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Wie sieht Ihr Beitrag konkret aus?
Wir sind dabei, unser alkoholfreies Bier Sonnwendlig zusätzlich mit Folsäure anzureichern. Wenn alles nach Plan läuft, sollte es pünktlich zum Sommeranfang in den Läden sein. Zusätzlich möchten wir auch unsere Tschipps oder die Pizzas mit Folsäure anreichern. Da testen wir noch, welches Produkt sich besser eignet.
«Wir sind dabei, unser alkoholfreies Bier Sonnwendlig zusätzlich mit Folsäure anzureichern.» Karl Locher
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Im Online-Shop der Brauerei hat es 33 verschiedene Biere. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?
Nur 33? Insgesamt brauen wir zurzeit 39 Bierkreationen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind das sicherlich zu viele, aber aus Freude an der Biervielfalt gefällt uns diese Zahl, und es kommt halt immer wieder etwas Neues hinzu.
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Dann ist bestimmt schon ein neues Bier in der Pipeline?
Nein, nicht eines, sondern vier. Nur so viel: Es wird traditionell und speziell.
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Welches sind Ihre persönlichen Lieblingsbiere?
Die klassischen Quöllfrisch hell und naturtrüb, das Weizenbier und das Dunkelbier Schwarzer Kristall.
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Sie sind 1960 in Ghana geboren. Wie kam es dazu?
Mein Vater war dort Braumeister in einer Schweizer Brauerei. Als ich drei Jahre alt war, ging es zurück in die Schweiz.
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Hat sich schon früh abgezeichnet, dass Sie dereinst die familieneigene Brauerei übernehmen werden?
Nicht unbedingt. Ich verspürte von zu Hause keinerlei Druck. Weil mir nichts anderes in den Sinn kam, habe ich die Brauerlehre gemacht, dann die Mälzerlehre und den Abschluss als Braumeister in München. So nahm alles seinen Lauf, und nach einigen Wanderjahren im In- und Ausland bin ich 1990 im Familienbetrieb eingestiegen.
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Es gibt viele Bezeichnungen zu Ihnen: Nachhaltigkeits-Pionier, Visionär, Bierkönig: Als was würden Sie sich selbst bezeichnen?
Braumeister.
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Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Karl Locher.
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Und als Zusatz?
Nichts, einfach Karl Locher. Mehr braucht es nicht.
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Sie haben aus den Brau-Nebenprodukten schon vieles gemacht. Was kommt als Nächstes?
Veganes Gehacktes und Geschnetzeltes, 100 Prozent natürlich und mit über 50 Prozent «Brauerei-Anteil».
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Ihr erklärtes Ziel ist es, sämtliche Nebenprodukte der Brauerei zu hochwertigen Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln zu verarbeiten. Ist das realistisch?
Durchaus. Bis 2025 wollen wir dieses Ziel erreichen. Eine Herausforderung ist der Treber, der pro Tag im Tonnenbereich anfällt. Im Sommer geht immer noch zu viel davon direkt in die Biogas-Anlage, weil dann der Bedarf der Bauern nicht so hoch ist. Es gibt also noch viel zu tun.
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Der Bierabsatz Ihrer Brauerei ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark gestiegen. Und das, obwohl Sie keine Image-Werbung machen und nicht mal eine richtige Marketingabteilung haben. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Unsere Biere sind die beste Werbung. Wenn es schmeckt, kauft man es wieder. Wenn die Qualität nicht stimmt, nützt alle Werbung nichts. Zudem mögen es die Leute, wenn sie wissen, woher das Bier kommt und wer dahintersteht. Das ist beim Appenzeller Bier der Fall.
Das Interview wurde von Urs Zwyssig geführt.
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